Author Archives: Lys Seng

Dmitrij Kapitelman

Sonntag, 21. November 2021, 17 Uhr

Hausboot im Kulturzentrum dasHaus, Bahnhofstraße 30, Ludwigshafen

Moderation: Viktoria Ong

» Früher tönte ich, mein Gesicht niemals unter einem Bundesadler sehen zu wollen. Und behauptete, es sei wegen der Shoa und der blutrünstigen Neonazis, die uns durch Leipziger Plattenbausiedlungen gejagt haben. Wegen der Zigaretten, die sie lachend an uns ausdrückten, den Kampfhunden, die sie auf uns hetzten, den Pistolen, die sie uns beim Eisessen am Kulkwitzer See an den Kopf hielten. Und den deutschen Polizisten, die nie etwas gegen die deutschen Nazis taten. Aber das war glatt gelogen. Ich war einfach zu faul für den ganzen Papierkram bei der Ausländerbehörde. Dem Dummdödel von damals war schlicht nicht klar, wie krass ein deutscher Ausweis privilegiert, wie sehr er das Leben erleichtert. «

(Aus: Eine Formalie in Kiew © Hanser Verlag 2021)

Jaroslav Rudiš

Sonntag, 21. März 2021, 17 Uhr per Livestream

ANMELDUNG ERFORDERLICH bei: gisela.kerntke@freenet.de

Port25 – Raum für Gegenwartskunst, Hafenstraße 25-27, Mannheim

Moderation: Eleonore Hefner

» Der Zug verließ den Bahnhof und Winterberg schaute aus dem Fenster und zeigte zu ein paar alten grünen Eisenbahnwagen auf der anderen Seite.

„Ja, ja, sehen Sie Herr Kraus, die Schmalspurbahn nach Oybin der sächsischen Spurweite 750 Millimeter, spätestens wenn wir in Bosnien sind, werde ich Ihnen etwas über die bosnische Spurweite von 760 Millimeter erzählen, ja, ja, die bosnische Spurweite kann lebensgefährlich sein, davon könnte der Thronfolger einiges erzählen, wenn er nicht tot wäre, ja, ja. Ich werde Ihnen viel über den Schmalspurbahnenkrieg erzählen, der bis heute in Europa herrscht, da, sehen Sie, von Zittau fuhr früher ein Zug auch direkt nach Friedland, ja, ja, hier musste die Strecke abbiegen, ja, ja, genau. «

(Aus: Winterbergs letzte Reise © Luchterhand 2019)

Selim Özdogan

Sonntag, 14. März 2021, 17 Uhr ABGESAGT

Hausboot im Kulturzentrum dasHaus, Bahnhofstraße 30, Ludwigshafen

Vorstellung des Autors: Gisela Kerntke

» Abstand zu Menschen. Ich dachte es würde helfen. Es hat geholfen, jahrelang hat es geholfen. Und jetzt … Ich dachte, sie lügt. Was sollte das auch für eine Geschichte sein? Du hättest sie auch nicht geglaubt.

Ich erinnerte mich an die Nacht. Ich war bereits weggezogen aus Westmarkt, da war auch kein Blut an meinen Händen, aber niemand kam da sauber raus.

Ich saß in der Straßenbahn und Kamber stieg ein. Ich freute mich so, als ich ihn erkannte. Wir hatten uns lange nicht mehr gesehen. Es war so unwahrscheinlich, ihm so über den Weg zu laufen, es sah ihm nicht ähnlich, dass er Straßenbahn fuhr. Wir umarmten uns lange und als wir uns lösten, glänzten meine Augen wahrscheinlich, seine aber auch. Er war unterwegs zu Kerim und wir haben noch Paster abgeholt und sind dann zu viert losgezogen, ins Chronic, wo Dre lief, Gang Starr, Snoop, Geto Boys, R. Kelly, Wu Tang, das Slim-Shady-Album war vor ein paar Monaten erschienen. «

(Aus: Der die Träume hört © Edition Nautilus 2019)

Olivia Wenzel

Sonntag, 31. Januar 2021, 17 Uhr ABGESAGT

Stadtbücherei Frankenthal, Welschgasse 11, Frankenthal

Moderation: Nina Aleric

» Für mich ist es wahrscheinlicher, beim Spazierengehen an Brandenburger Seen von drei Nazis krankenhausreif geprügelt zu werden, als mitten in New York oder Berlin, irgendwo in der U-Bahn oder einem gemächlich kreisenden Restaurant, Opfer eines islamistischen Anschlags zu werden.

ODER ZUR TÄTERIN.

HAST DU ÖFTER SOLCHE FANTASIEN?

Ja.

WAS TUST DU DAGEGEN?

Wieso sollte ich etwas dagegen tun?

TREIBST DU SPORT? FÄHRST DU MANCHMAL RAUS IN DIE NATUR, GEHST DU KLETTERN ODER JOGGEN?

In Brandenburg?

WURDEST DU ÜBERHAUPT SCHON MAL VON DREI NAZIS >KRANKENHAUSREIF< GEPRÜGELT?

Mit 17 habe ich mir ständig gewünscht, dass es endlich passiert. Die Angst vor manchen Realitäten kann schlimmer sein als diese Realitäten selbst. «

(Aus: 1000 Serpentinen Angst © S. Fischer Verlag 2020)

Terézia Mora

Sonntag, 29. November 2020, 17 Uhr ABGESAGT

ERSATZTERMIN: Sonntag 9. Mai 2021, 17 Uhr

Port25 – Raum für Gegenwartskunst, Hafenstraße 25-27, Mannheim

Moderation: PD Dr. Anna-Katharina Gisbertz

» Francesco Verla, genannt Tedesco, hatte Darius Kopp vor etwas mehr als einem Jahr am Rande eines Kraters der Monti Sartorius aufgefunden. Kopp hatte sich bei der Bergstation, wo die Straße für Normalsterbliche endet, unter dem Schutz der niedrig hängenden Wolken und des Sprühregens so lange an Kraterrändern und Pfaden durch die erkaltete Lava hin und her gewendet, bis er alle anderen (Touristen, Führer) aus den Augen verloren hatte, bzw., worum es eigentlich ging, bis sie ihn aus den Augen verloren hatten. Er hatte einen Job zu erledigen, für den er allein sein musste. «

(Aus: Auf dem Seil © Luchterhand 2019)

Marina Frenk

Sonntag, 25 Oktober 2020, 17 Uhr

Hausboot im Kulturzentrum dasHaus, Bahnhofstraße 30, Ludwigshafen

Moderation: Anna Barbara Dell

» „Wie heißen nochmal diese Puppen?“, frage ich.

„Aber am Montag reisen wir aus, hast du das vergessen?“, schreit mein Vater meine Mutter an.

„Musst du dich wohl an einem anderen Tag scheiden lassen“, lacht er.

„Welche Puppen, Kira?“, Mama weint.

„Diese an den Fäden?“

„Ach so … Mario … Marionetten“, schluchzt sie.

Marionetten, Marionetten … wiederhole ich immer wieder in meinem Kopf.

„Wohnen wir dann am Montag nicht mehr in Kishinjow?“, frage ich.

„Nein“, antwortet mein Vater, „und Kishinjow heißt jetzt wieder Chisinau“, sagt er verärgert.

„Deshalb ziehen wir ja weg“, schluchzt Mama, weil sie sich scheiden lassen will, aber am Montag geht es nicht. «

(Aus: ewig her und gar nicht wahr © Verlag Klaus Wagenbach 2020)

Jaroslav Rudiš (Abgesagt)

Sonntag, 15. März 2020, 17 Uhr

Port25 – Raum für Gegenwartskunst, Hafenstraße 25-27, 68159 Mannheim

Moderation: Eleonore Hefner

» Der Zug verließ den Bahnhof und Winterberg schaute aus dem Fenster und zeigte zu ein paar alten grünen Eisenbahnwagen auf der anderen Seite.

„Ja, ja, sehen Sie Herr Kraus, die Schmalspurbahn nach Oybin der sächsischen Spurweite 750 Millimeter, spätestens wenn wir in Bosnien sind, werde ich Ihnen etwas über die bosnische Spurweite von 760 Millimeter erzählen, ja, ja, die bosnische Spurweite kann lebensgefährlich sein, davon könnte der Thronfolger einiges erzählen, wenn er nicht tot wäre, ja, ja. Ich werde ihnen viel über den Schmalspurbahnenkrieg erzählen, der bis heute in Europa herrscht, da, sehen Sie, von Zittau fuhr früher ein Zug auch direkt nach Friedland, ja, ja, hier musste die Strecke abbiegen, ja, ja, genau. «

(Aus: Winterbergs letzte Reise © Luchterhand-Verlag 2019)

Meral Kureyshi

Sonntag, 01. März 2020, 17 Uhr

Hausboot im Kulturzentrum dasHaus, Bahnhofstraße 30, 67059 Ludwigshafen

Moderation: Nina Aleric

» „Wir hatten Elefanten im Garten. Der kleinste steckte seinen Kopf durch das Fenster in mein Zimmer und wollte mit Nüssen gefüttert werden.“

„Dumbo? Wie der Elefant aus dem Trickfilm?“

„Genau wie der hatte er geheißen, der Name passte gut zu ihm. Ich wollte noch eine Giraffe, doch mein Vater meinte, die würde dann so groß werden und über die Dächer schauen, sodass unsere Nachbarn sie sehen könnten, wir wollten unsere Tiere geheim halten, sodass sie uns niemand wegnehmen konnte.“

„Weshalb sollte euch jemand die Tiere wegnehmen? Habt ihr die Tiere in euren Koffern mit in die Schweiz genommen?“

Sarah war skeptisch meinen Geschichten gegenüber. Jedes Mal, wenn ich von meiner Heimat erzählte, stellte sie mir viele Fragen. «

(Aus: Elefanten im Garten Ullstein-Verlag © Hanser 2017)

Marko Dinić

Sonntag, 16. Februar 2020, 17 Uhr

Stadtbücherei Frankenthal, Welschgasse 11, 67227 Frankenthal

Moderation: Gisela Kerntke

» „Sie sind also Schriftsteller?“ fragte ich. Meine Neugier war wieder geweckt.

„Nein, nein! Um Gottes willen, das wäre ja zu viel des Guten. Es ist nicht die hohe Dichtkunst, kein Roman oder so etwas. Es ist vielmehr die Geschichte meiner Familie, die ich aufschreiben will. Knallharte Aufarbeitung, keine Gnade für niemanden! Ich suche nach den Ursachen, wissen Sie, also darf ich keine Rücksicht nehmen, auf meinen toten Bruder nicht, nicht auf meine Mutter oder gar meinen Vater, schon gar nicht auf irgendwelche Serben. Deshalb reise ich viel. Ich will die Leute treffen, denen Leid angetan wurde, diese kontaminierten Orte sehen … Nur die Verbrecher kann ich bei Gott nicht mehr sehen! In meinem Elternhaus sitzt immer noch einer und will nicht verrecken! Ich will nicht in die Verlegenheit kommen, etwas Menschliches in ihnen zu finden. Das würde mich nur durcheinanderbringen und mich von meiner eigentlichen Arbeit ablenken. Mir reicht schon dieser Zoo hier!“ Er deutete auf Zoran, der gerade konzentriert eine Geschichte oder einen Witz erzählte. «

(Aus: Die guten Tage © Zsolnay-Verlag 2019)

Natascha Wodin

Sonntag, 19. Januar 2020, 17 Uhr

Port25 – Raum für Gegenwartskunst, Hafenstraße 25-27, 68159 Mannheim

Moderation: PD Dr. Anna-Katharina Gisbertz

» Seit meinem letzten Besuch war eine lange Zeit vergangen. Ich fragte mich, ob die „Häuser“ noch standen, in denen wir gewohnt hatten, die primitiven, für ehemalige Zwangsarbeiter er bauten Nachkriegsblocks, die außerhalb der ländlichen Kleinstadt lagen, an der Regnitz, die schon in den sechziger Jahren zu einem Teil des Rhein-Main-Donau-Kanals geworden war. Im Vorbeifahren konnte ich sie nicht sofort entdecken, erst auf den zweiten Blick begriff ich, was sich verändert hatte: Die Blocks waren verschwunden, jedenfalls deckte sich, was ich jetzt sah, nicht mit meiner Erinnerung. Mich blickten ganz neue, pastellfarbene Fassaden mit modernen Kunststofffenstern an, hinter denen Wohnungen mit Zentralheizung und Warmwasser zu vermuten waren. Man hatte die Blocks nicht abgerissen, ganz im Gegenteil, man hatte sie saniert. Es erschien mir unwirklich, aber nun gehörten sie zur Stadt, waren eingebettet in ein belebtes Neubaugebiet. «

(Aus: Irgendwo in diesem Dunkel © Rowohlt-Verlag 2018)

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